Im.Puls - Fettes Walwunder - Kasseler Kunstverein - Transfer Zeichnung Musik
felix werthschulte | musikjournalist

Beinwackeltango & Fettes Walwunder

In ihrem Projekt Transfer Zeichnung Musik bewegen sich die Kasseler Künstlerinnen Christine Weghoff, Constanze Betzl und Maja Oschmann spielerisch leicht zwischen den Genres und schaffen dabei Großartiges. Ein Probenbesuch bei drei Grenzgängerinnen.

Im.Puls - Transfer Zeichnung Musik - Beinwackeltango - copyright Maja Oschmann
Das Atelier in der Alten Korkfabrik ist ein kreativer Ort, praktisch wie aus dem Bilderbuch. Im ersten Stock des Hinterhauses im Vorderen Westen steht ein großer Zeichentisch, aus den alten Sprossenfenstern fällt Licht auf Farben, Töpfe und Pinsel und das großflächige Makulaturpapier. Davor sitzt die Musikerin Christine Weghoff, ihr Akkordeon vor der Brust. Aus dem Hintergrund schreitet die Querflötistin Constanze Betzl langsam zum Tisch. Was beide dabei mit ihren Instrumenten erzeugen, ist geräuschhaft, erinnert an menschliches Atmen. Maja Oschmann steht vor dem Papier, sie nimmt ein großes Stück schwarzer Kohle in die Hand und zerbröselt sie. Kaum später verreibt die Künstlerin die Krümel mit fließenden, kreisenden Bewegungen im Rhythmus der Klänge.
Direkte Kommunikation

Transfer Zeichnung – Musik heißt das bemerkenswerte Projekt, das die drei Kasseler Künstlerinnen in den vergangenen zwei Jahren immer weiter ausgearbeitet haben. Und so sperrig und akademisch der Titel auch wirken mag, bringt er für diejenigen, die ihn sich ausgedacht haben, doch ihre Idee am besten auf den Punkt: „Eine direkte Kommunikation zwischen den Instrumenten und der Zeichnung in einer Komposition oder Improvisation zu Dritt“, erklärt Constanze Betzl. „Dabei zeigen wir genau diese Transferleistung, das heißt, wo entsteht aus dem Klang ein Bild, eine Zeichnung oder eine Idee, und andersrum, wo aus einer zeichnerischen Idee ein musikalischer Klang.“

Im Nachdenken und Vermitteln von Musik kennen sich die Flötistin und Konzertpädagogin Constanze Betzl und die Musikerin und Komponistin Christine Weghoff seit Langem bestens aus, sind Gründerinnen des Kasseler Musikvermittlungsbüro kontakt@musik. Die Künstlerin Maja Oschmann, die an der Uni und der Kunsthochschule lehrt, wurde in letzter Zeit vor allem durch ihre Beschäftigung mit dem Werk des Kasseler Komponisten Louis Spohr in einem furiosen Experimentalfilm (Virtuos Virtuell) international bekannt.

Im.Puls - Betzl - Oschmann - Weghoff - Proben Korkfabrik - Transfer Zeichnung Musik - Photo copyright Marco Di Carlo
Im.Puls - Transfer Zeichnung Musik - Flatterzunge - copyright Maja Oschmann
Manchmal ist es albern

Doch im Gegensatz zur künstlerischen Umsetzung von vorgegebener Musik liegt der Reiz dieses Projekts in seiner Dynamik und Lebendigkeit. „Es ist etwas ganz anderes, ob man wirklich zusammen im Raum steht, zusammen das erarbeitet, Ideen aufgreift“, meint Maja Oschmann und lacht. „Wir haben sehr viel Spaß und ja, es ist auch manchmal albern. Aber dann kommen wir auch immer wieder zurück zum Ernsthaften.“

Um die Kommunikation zwischen den Genres herzustellen, haben die drei Künstlerinnen systematisch ein eigenes Vokabular entwickelt. Langgezogene Linien für Oktavsprünge, Punkte für Staccati, Spiralen für Vibrato. Mit Geschick und künstlerischem Feingefühl entwickeln Betzl, Weghoff und Oschmann aus den scheinbar banalen Grundlagen ein mitziehendes, dynamisches Ganzes. „Es ist einmal die Linie, die sich in dick und dünn unterscheidet, was man wunderbar übertragen kann, durch Lautstärke und Volumen“, erklärt Maja Oschmann. „Dann sind es Bewegungen, Rhythmus, aber auch Tonwerte und Flächen.“

Weniger ist mehr

Um die Grenzen des künstlerisch-musikalisch Machbaren kontrollierbar zu halten, setzen die drei Kreativen bewusst auf Reduktion. Das gilt in besonderem Maß für die Farbigkeit, die in der Regel in noblen, kalligrafischen Grau-Schattierungen gehalten ist. Nur in Ausnahmefällen werden weitere Farben für Akzente einbezogen, so zum Beispiel ein wunderbar flammendes Rot im Beinwackeltango, dort natürlich gemeint als Verdeutlichung von Dramatik und Leidenschaft.

Christine Weghoff spielt tiefe, dissonante Töne, einen so genannten Cluster-Akkord, auf ihrem Akkordeon. Maja Oschmann bewegt ihren Pinsel in großen kreisenden Bewegungen über das Papier. Er ist zwar nass, doch noch ohne Farbe. Fettes Walwunder hat das Trio diese Figur scherzhaft getauft. Zuerst mit Wasser quasi unsichtbar vorgezeichnet, verläuft die schwarze Tusche etwas später zufällig über das Papier. Sie „blutet aus“. Die farblichen Verläufe werden also nicht nur von Hand gestaltet und bestimmt, sie entwickeln auch ein Eigenleben – ähnlich wie die Töne, die gleichzeitig dazu im Raum verklingen.

Im.Puls - Live Performance Dock4 - Transfer Zeichnung Musik - Oktavsprünge - copyright Maja Oschmann
Im.Puls - Transfer Zeichnung Musik - Fettes Walwunder - copyright Maja Oschmann
Austausch in beide Richtungen

Gut ein halbes Dutzend Kompositionen, festgehalten in Zeichnungen, Noten, Skizzen und das Gedächtnis stützenden Anweisungen, haben Constanze Betzl, Christine Weghoff und Maja Oschmann mittlerweile erarbeitet. In letzter Zeit entwickelt sich ihre Aktion, wird insgesamt hin zu mehr Freiheit, erzählt Christine Weghoff. Ihr ist es wichtig, dass der Weg nicht nur von der Musik zur Zeichnung verläuft, sondern auch andersherum: „Für mich ist das unglaublich anregend, weil Maja auch aus dem Schwung heraus zeichnet. Man sieht ihren Rhythmus und die Schwünge und das animiert einen sehr, da mitzugehen.“

Ende Oktober wird das Trio, dessen Arbeit mittlerweile auch von der Dr.-Wolfgang-Zippel-Stiftung unterstützt wird, im Kasseler Kunstverein mit einer Performance zu sehen sein. Die Kunst von Maja Oschmann lässt sich per Videoprojektion live nachverfolgen. Während die Musik sich verflüchtigt, bleibt das Kunstwerk bestehen. Für die Künstlerinnen ist es nicht zuletzt eine Erinnerung an die gemeinsame Arbeit. „Was jetzt neu für mich ist ist, ist dass gemeinsam etwas kreiert wird, dass etwas im Entstehen ist, dass da noch mehr künstlerische Freiräume sich eröffnen“, sagt Maja Oschmann. „Das spiegelt unser Projekt wunderbar. Und das nehme ich auch mit in meine weitere Arbeit.“

Felix Werthschulte | (k) KulturMagazin Nr. 254 | Okt 2019, Seite 16-17

Transfer Zeichnung Musik - Pelzmützen Fliegender Kreis - Zeichnung -Copyright - Maja Oschmann